Ist CrossFit eine gefährliche Sportart? Welche Rolle spielt die Schulter bzw. die Überkopf-Beweglichkeit? Was sagt die Wissenschaft? Das alles erfährst Du in diesem Blog-Beitrag.
Die Zahl der CrossFit Boxen und damit der trainierenden CrossFit-Sportler ist in den letzten Jahren extrem gestiegen. Waren es im Sommer 2010weltweit noch ca. 1000 CrossFit Boxen, so sind es heute mehr als 14.000, Tendenz steigend (http://map.crossfit.com, Stand: Juni 2018).
Mit der steigenden Nachfrage für den Sport wächst scheinbar parallel die Häufigkeit von Verletzungen. Zwar belegen zahlreiche Studien, unter anderem von Klimek et al., dass CrossFit keine höheren Verletzungsrisiken birgt als Sportarten wie Fußball, Gewichtheben oder Leichtathletik (2017); dennoch scheint es so, als wäre CrossFit eines der gefährlichsten Fitnessprogramme auf dem Markt. Im Folgenden möchte ich diese Thematik näher erläutern und zeigen, warum unter anderem die Schulter großen Gefahren ausgesetzt sein kann, wie wir dem entgegenwirken können und wie wir mit einfachen Ergänzungen das Konzept CrossFit noch besser machen können.
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Was ist CrossFit?
CrossFit ist eine Trainingsmethode, basierend auf ständiger Variation der Übungsauswahl, hoher Intensität und funktionalen Bewegungen. CrossFit kombiniert Herz-Kreislauf-Training, Gewichtheben mit der Langhantel und turnerische Eigengewichtsübungen zu einem einheitlichen Trainingsprogramm (Sibley, 2012). Während das Wort “Cross” für die hohe Übungsvielfalt und die ständige Variation der Übungen steht, so steht das Wort “Fit” für Fitness. Der Gründer von CrossFit, Greg Glassman, definiert dabei Fitness als “increased work capacity across broad time and modal domains“(Glassman, 2007, 2009).
CrossFit hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt und zu einer Sportart etabliert, bei der unter anderem mehrere Wettkämpfe veranstaltet werden. Das wichtigste Event stellen dabei die CrossFit Games dar, welche nach einer Online-Qualifikation (genannt “The Open”) und den sogenannten „Regionals“, einmal jährlich in den USA ausgetragen werden.
CrossFit ist desweiteren mehr als eine Sportart bzw. Trainingsmethode. CrossFit wird des Öfteren als “Kult” bezeichnet (Murphy, 2012). Die wohl größte Rolle für den Erfolg von CrossFit spielt nach Meinungen vieler CrossFit-Box Inhaber nicht die Trainingsmethode an sich, sondern die Community (Murphy, ebd). TJ Belger, selbst Box-Besitzer und Author von “The Power of Community”, geht sogar noch einen Schritt weiter. “Wenn wir uns der Idee eine Gemeinschaft zu sein nicht verschließen, in der die Menschen unterschiedlich aussehen, verschiedene Hintergründe aufweisen und verschiedene Interessen haben, so wie es in einer CrossFit-Community anzutreffen ist, dann besteht die Möglichkeit, dass eine CrossFit-Box ähnliche Funktionen erfüllt wie eine Kirche” (aus: Murphy, 2012, S.91). CrossFit definiert sich also nicht nur über seine Trainingsmethodik, sondern auch über gruppendynamische Elemente. Ein Kernelement der Motivation im Gruppentraining ist das Anfeuern von Teammitgliedern oder “Mitstreitern”, wie es bei Hertel (2002) beschrieben wird. Dort heißt es, dass Personen “besonders herausragende Leistungen gezeigt haben, […] weil sie von den anderen Mitgliedern besonders angefeuert wurden” (2002, S.15). Gruppenorganisierte und angeleitete Programme wie CrossFit werden, vor allem von Einsteigern, als besonders günstig empfunden. Dies liegt unter anderem daran, dass Anfänger die Kontrolle über ihre Sportplanung abgeben können und dann bereits feste Termine, einen festen Ort und eine soziale Gemeinschaft vorfinden (Wagner, 1998). Kein Wunder also, dass CrossFit den Markt erobert hat. Doch es gibt auch Schattenseiten.
Wie hoch sind die Verletzungsraten?
Man könnte meinen, dass die Verletzungsraten im CrossFit extrem hoch sind. Schließlich ist die Sportart sehr hart und intensiv. Einige Studien haben sich bereits mit der Thematik CrossFit-Verletzungen befasst. So konnten Weisenthal et. al. aufzeigen, dass die Verletzungsrate bei ca. 20% liegt (einer von fünf Athleten verletzt sich in einem 6-Monats-Intervall). Männer verletzen sich dabei häufiger als Frauen (2014). Eine Verletzungsrate von ca. 20% wirkt auf den ersten Blick sehr hoch. Im weiteren Verlauf werden wir allerdings feststellen, dass dies tatsächlich eine übliche Verletzungsrate von populären Sportarten darstellt.
Unter anderem stellen Klimek et al. den Vergleich der Verletzungsraten zu anderen beliebten Sportarten dar. Sie verglichen die Verletzungsraten von CrossFit-Sportlern mit denen von Langstreckenläufern, Fußballern, Gewichthebern und Leichtathleten (2017). Klimek et al. konnten feststellen, dass die Verletzungsraten im CrossFit (20% im Laufe von 6 Monaten, wie bei Weisenthal et. al.) nicht signifikant höher sind als in den genannten Sportarten. Zudem zeigen Klimek et al. auf, dass auch die Verletzungsraten im Krafttraining, dem klassischen Geräte- und Freihanteltraining, nicht geringer sind als die Verletzungsraten im CrossFit (2017).
Interessant sind die Untersuchungen von Hak et al. (2013), welche eine “totale Verletzungsrate” im CrossFit von 3,1 pro 1000 Std. (3,1 Verletzungen alle 1000 Trainingsstunden)nennen. Diese Werte sind vergleichbar mit den Zahlen von Calhoon& Fry (1999) der totalen Verletzungsraten im Olympischen Gewichtheben (3,3 pro 1000 Std.) und den Zahlen von Kolt& Kirby (1999) der totalen Verletzungsraten im Turnen (3,1 pro 1000 Std.). Etwas höher sind die Verletzungsraten beim Fußball (4,22 pro 1000 Std. bei Männern und 5,21 pro 1000 Std. bei Frauen), wie Rechel et al. verdeutlichen konnten (2008).
Spitzenreiter der Untersuchungen ist der American High School Football mit 140 Verletzungen pro 1000 Std. (Anderson et al., 1989). Die Verletzungsrate im CrossFitsind demnach ähnlich mit der im Fußballsport, dem Gewichtheben und dem Turnen.
Welche Rolle spielt die Schulter?
Die Schulter mit all ihren Strukturen ist beim CrossFit besonders bedeutend, denn ihr wird bei der hohen Übungsvariation einiges abverlangt. Hunderte Wiederholungen von Handstandstand-Liegestütze, Klimmzüge mit Schwung oder das Olympische Reißen –die Schultern müssen in diesem Sport extremen Belastungen standhalten und werden mit verschiedensten Reizen beansprucht.
Das Problem: Gerade Beginner sind auf diese Form der Belastung nicht vorbereitet. Wer stundenlang mit nach vorne fallenden Schultern am Bürotisch oder im Auto sitzt oder seine Arme seit Jahren nicht mehrfach am Tag über den Kopf gehoben hat, der kann von seinen Schultern keine Höchstleistungen im Training erwarten. Häufig folgen daraus Verletzungen der Rotatorenmanschette und Schulterimpingements.
Sowohl Hak et al. (2013) wie auch Weisenthal et. al (2014) räumen der Schulter das größte Verletzungsrisiko beim CrossFit ein. Untersuchungen der Forscher zeigten, dass zwischen 25-31,8% der Verletzungen im CrossFit die Schulter betreffen; dicht gefolgt von Verletzungen des unteren Rücken (14,3%). Dabei machen Hak et al. wie auch Weisenthal et. al deutlich, dass die Schultern vor allem bei gymnastischen Übungen wie Kipping-Pull-Ups und Handstandliegestütze und der Rücken überwiegend beim Gewichtheben besonders gefährdet sind (2013, 2014).
Wie können wir CrossFit besser machen?
Obwohl CrossFit sich damit rühmt, jede der zehn generellen physischen Fähigkeiten(Kraft, kardiovaskuläre Ausdauer, Durchhaltevermögen, Beweglichkeit, Explosivität, Geschwindigkeit, Koordination, Agilität, Präzision und Balance)zu trainieren, so fehlen dem Konzept einige wichtige Bausteine. Hier sind einige Verbesserungs- bzw. Ergänzungsvorschläge, mit welchen CrossFit-Sportler ihr Training noch ganzheitlicher gestalten können:
Mehr Fokus auf exzentrische Belastungen
Häufig ist zu beobachten, dass die Langhantelstange beim CrossFit-Training hochgewuchtet und dann fallen gelassen wird. Auch nutzen Athleten die Brust bei den Liegestützen gerne als eine Art Federkissen. Durch eine solche Ausführung fehlt die exzentrische Belastung gänzlich. Für den Leistungsfaktor bzw. eine schnelle Zeit in den Workouts macht dies durchaus Sinn, für die weitreichende Ausbildung der Muskulatur und der Gesundheit eher nicht. Denn: Es fehlen exzentrische, also nachgebende, Muskelbelastungen. Die Abwärtsbewegungen des Körpers oder der Langhantelstange, beispielsweise das Absetzen nach einer ausgeführten Wiederholung, werden oft vernachlässigt. Die Lösung: Accessorywork -Integration von kontrollierten Abwärtsbewegungen in das Training. Zum Beispiel Kniebeugen mit 5-7 Sekunden exzentrischer Phase.
Training der aeroben Ausdauer
CrossFit legt besonderen wert auf kurze, hochintensive Belastungsintervalle, ähnlich dem High Intensity Intervall Training (kurz: HIIT). Lange, kontinuierliche Ausdauereinheiten, welche vor allem den aeroben Stoffwechsel beanspruchen, sind in den meisten Trainingsplänen eher selten zu finden. Sinnvoll wäre es, ein bis zweimal pro Woche eine aerobe Einheit in das Training einzubauen oder die Athleten zu animieren, eine solche Einheit außerhalb der CrossFit-Box (Wandern, eine Radtour oder ähnliches) zu absolvieren.
Ergänzung von horizontalen Zugbewegungen
Viele CrossFit-Workouts zeichnen sich durch eine Menge Pull-Ups, also Klimmzüge, aus. Doch wo sind die horizontalen Zugbewegungen? Im originalen CrossFit-Programming finden wir keine dieser Bewegungsformen vor (Rudern auf dem Ergometer ausgenommen). Aus diesem Grund sollten wir auch hier intervenieren und horizontale Zugbewegungen in unser Training als “Accessory Work” einbauen. Abhilfe schaffen sogenannte Face-Pulls oder das Arbeiten mit Zugbändern. Regelmäßige Ausführungen können vor Verletzungen der Rotatorenmanschette schützen und somit die Verletzungsrate der Schulter verringern.
Zu guter letzt sollte es selbstverständlich sein, dass das Technik-Training der oft schwierigen Übungen an erster Stelle stehen sollte. Erfahrungsgemäß tut es das auch. Doch häufig werden Crossfit spezifische Workouts auch in Fitness-Studios ohne Trainer und ohne Vorerfahrung durchgeführt. Dies stellt eine erhebliche Verletzungsgefahr für die Trainierenden dar, da unter anderem das technische Verständnis wie auch die externe Bewegungskontrolle fehlt. Und nein, ein Spiegel ersetzt keinen Coach! Wer CrossFit betreiben möchte, sollte dies immer unter der Anleitung gut ausgebildeter Coaches tun.
Fazit
CrossFit stellt eines der interessantesten und ganzheitlichsten Trainingsmethoden auf dem Fitnessmarkt dar. Bei Sportarten, die einen regelrechten Boom erfahren und dadurch eine erhöhte Aufmerksamkeit genießen, vermutet man häufig, dass die Verletzungsrate höher ist als in Randsportarten. Dennoch zeigen Studien, dass die Verletzungsraten im CrossFit nicht höher sind wie beim Gerätetraining oder beim Fußball. Es wird deutlich, dass verletzungsfreies CrossFit-Training stark vom Trainer und des einzelnen Athleten abhängt. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Schulter gelegt werden, da nicht alle CrossFit-Sportler auf die hohe Belastung der Schultern vorbereitet sind und hier die Verletzungsraten am Höchsten sind. Ein ergänzendes Schulteraufbau-Training ist deshalb ratsam. Zusätzlich sollten auch die fehlenden Parameter wie aerobe Ausdauer, exzentrische Belastungen und horizontale Zugbewegungen ins Training integriert werden, um diesen Sport noch ganzheitlicher zu gestalten. Es empfiehlt sich in einen Trainer zu investieren, der zusammen mit den Athleten Techniken verbessern und die Verletzungsraten somit weiter verringern kann.
Quellen
Anderson BL, Hoffman MD, Barton LW. High school football injuries: field conditions and other factors. WisMed J. 1989;88(10):28–31. Google Scholar |
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Hak PT, Hodzovic E, Hickey B. The nature and prevalence of injury during CrossFit training [published online ahead of print November 22, 2013]. J Strength Cond Res. PubMed doi:https://doi.org/10.1519/JSC.0000000000000318 Google Scholar
Hertel, G. (2002). Motivation in Gruppen. Kann Team-Arbeit die Arbeitsmotivation zusätzlich steigern? 2/2002: p.15
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Kolt G, Kirkby R. Epidemiology of injury in elite and subelite female gymnasts: a comparison of retrospective and prospective findings. Br J Sports Med. 1999;33(5):312–318. PubMed doi:https://doi.org/10.1136/bjsm.33.5.312 Medline, Google Scholar
Murphy, T.J. (2012). Inside the box. How CrossFit shredded the rules, stripped down the gym and rebuilt my body. Velopress: Boulder
Rechel J, Yard E, Comstock R. An epidemiologic comparison of high school sports injuries sustained in practice and competition. J Athlet Train. 2008;43(2):197–204. PubMed doi:https://doi.org/10.4085/1062-6050-43.2.197 Medline, Google Scholar
Sibley, B. – A. (2012). Using Sport Education to Implement a CrossFit Unit.Journal of Physical Education, Recreation & Dance, v83 n8. p.42-48
Weisenthal, B. M., Beck, C. A., Maloney, M. D., DeHaven, K. E., & Giordano, B. D. (2014).
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Internetquellen
Beers, E. (2001): Virtuosity Goes Viral (Zugriff am 05.06.2018 unter http://journal.crossfit.com/2014/06/virtuosity-goes-viral.tpl)
Glassman, G. (2007). Understanding Crossfit. (Zugriff am 08.06.2018 unter http://journal.crossfit.com/2007/04/understanding-crossfit-by-greg.tpl)
Glassman, G. (2009). CrossFit’s New Three Dimensional Definition of Fitness and Health. (Zugriff am 08.06.2018 http://journal.crossfit.com/2009/02/crossfits-new-definition-of-fitness-volume-under-the-curve-1.tpl)
Vita
Benjamin Heizmann ist Inhaber und Headcoach von CrossFit Black Forest in Freiburg. Während seines Sportwissenschafts-Studium an der Deutschen Sporthochschule in Köln entdeckte er CrossFit für sich und eröffnete 2013 seine eigene Box im Schwarzwald.
Benjamin ist Autor, CrossFit Level 2 Trainer, CrossFit Movement & Mobility-Coach und Gründer des RESET Mobility Konzepts. Er blickt auf mehr als 15 Jahre Trainingserfahrung zurück. Sein Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung von Bewegungsabläufen, der Behebung von Kraft- und Mobilitätseinschränkungen und der präventiven und rehabilitativen Behandlung von Schmerzen.
In seinem Buch 50 Workouts – die besten WODs stellt er den Lesern eine vielfältige Auswahl an CrossFit-Workouts zur Verfügung, welche sowohl für Beginner wie auf fortgeschrittene Athleten geeignet sind.