Mit Gamification spielend leicht die Rehabilitation meistern
Rehabilitation ist für viele ein Begriff, der weder sexy noch motivierend klingt. Schließlich arbeiten wir uns hierbei durch eine Vielzahl von meist unbequemen und anstrengenden Übungen, haben die Sorge, dass es nicht mehr so wird wie vor der Verletzung und wünschen uns nichts sehnlicher als die volle Belastbarkeit unseres Körpers zurück. Dieser vermeintlich lange und steinige Weg sorgt oftmals für großes Unbehagen und stellt Therapeuten wie Patienten vor Probleme. Wie können wir einen Rehabilitationsprozess motivierend, spaßig und natürlich erfolgreich gestalten? Welche Methoden gibt es, die uns motivieren am Ball zu bleiben, unsere Übungen auszuführen; ja uns sogar auf sie zu freuen? Und was hat das alles mit Gamification zu tun?
Zu Beginn sollten wir erst einmal klären, was der Begriff Gamification bedeutet.
Als Gamification bezeichnet man den Prozess, Spielelemente wie Punkte, Auszeichnungen oder Ranglisten auf Konzepte und Situationen anzuwenden, welche in erster Linie nichts mit einem Spiel zu tun haben [2]. Während bei Spielen wie Mario Kart oder Tetris sowie bei Videospielen wie Call Of Duty oder Battlefield Punktesysteme, Level und Ranglisten selbstverständlich sind, so sehen wir bei Trainingssystemen diese sogenannten „PBLs“ (engl. für Points, Badges and Leaderboards) nicht direkt als zielführend und wichtig an. Der Prozess der „Gamifizierung“ kann aber sowohl bei Trainings- wie auch Rehabilitationssystemen Sinn machen. Denn Gamification kann uns motivieren unsere Aufgaben gewissenhaft zu erledigen.
Warum Gamification für Rehabilitationsprozesse?
Hier lassen sich drei Kernfaktoren herauskristallisieren, die im Folgenden näher erläutert werden sollen:
Motivationsbooster
Motivation wird bezeichnet als die Gesamtheit der Beweggründe, Einflüsse, die eine Entscheidung oder Handlung beeinflussen bzw. zu einer Handlungsweise anregen. Sprechen wir von Motivation, so sollten wir zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterscheiden.
Bei der intrinsischen Motivation handelt der Akteur „von Innen heraus“. Wir handeln hierbei aus eigenem Willen. Intrinsische Motivation hilft uns, Übungen oder Pläne durchzuziehen, weil wir davon überzeugt sind, dass es das Richtige für uns ist. Wer intrinsisch motiviert ist, der empfindet Spaß an den Handlungen und arbeitet prozessorientiert.
Dem Gegenüber steht die extrinsische Motivation. Hierbei handelt der Akteur aufgrund äußerer Anreize wie Belohnungen, Status oder anderen externen Faktoren. Diese Belohnungen von Außen können uns extrem motivieren; sie sind aber ein zweischneidiges Schwert. Denn die extrinsische Motivation muss immer wieder mit neuen Anreizen befeuert werden. Wer extrinsisch motiviert ist, der sucht nach Anreizen und arbeitet meist zielorientiert.
Nun ist wichtig zu verstehen, dass die verschiedenen Motivationsformen weder gut noch schlecht sind. Beide Formen können, richtig eingesetzt, den Reha-Prozess optimieren und die Zielerreichung erleichtern.
Die Meilensteine
Meilensteine können verstanden werden als „Zwischenziele“ auf der Reise zu voller Belastbarkeit. Meilensteine dienen als Orientierungshilfen für den Klienten und geben eine klare Antwort auf die Frage „Bin ich auf dem richtigen Weg?“. Im Gamification Kontext nenne ich die Meilensteine „Quests“🔱.
In meinen Rehabilitationsplänen dienen Meilensteine zudem auch zur weiteren Stärkung der Motivation. Diese Wegweiser dienen als konstantes Feedback und motivieren den Klienten, da sie als Bestätigung für den Erfolg der Rehabilitation dienen können.
Wichtig dabei ist, dass die Meilensteine vom Klienten selbst und nicht vom Trainer bestimmt werden, wobei natürlich unterstützend die richtigen Teilschritte gewählt werden sollten. Der Trainer sollte dabei Fragen stellen wie „Was glauben Sie ist in 8 Wochen möglich?“ oder „Was wäre für Sie ein persönliches Highlight auf dem Weg zurück zur Belastbarkeit?“. Oftmals folgen Antworten wie „Ich möchte wieder schmerzfrei schlafen können“ oder “Ich möchte meinen Sohn auf den Schulter tragen können“. Je nach genanntem Wunsch sollte der Trainer nun die Einteilung in die jeweiligen Rehabilitations-Phasen unternehmen. Diese vier Phasen findest Du weiter unten.
Das Level Up Prinzip
Zusammen mit den Meilensteinen (Quests) dient das „Level-Up-Prinzip“ als weiterer Motivationsbooster. Nichts motiviert uns so sehr wie Fortschritt. Deshalb bedient sich das RESET Rehab+ Modell auch einem fünfstufigen Ansatz. Wie bereits im System der körperlichen Freiheit beschrieben, ist so in einem Rehabilitationsprozess ein kontinuierlicher Aufstieg in ein höheres Level möglich. Jedes Level (man könnte hier auch Stufe oder Phase sagen) bedient sich dabei folgender Bausteine:
Die Mission 📈 – Das vorrangige Ziel des jeweiligen Levels
Der Handlungsplan 📋 – Die Übungen und Trainingsmodalitäten des Levels
Die Quests 🔱 – Die zu bewältigenden Aufgaben
Der Endgegner 👾 – Ergibt sich aus den Quests
Die Belohnung 💎 – Frei wählbar vom Klienten, Trainer, Coach etc.
Die Integration von Spielelementen im Sinne von Gamification kann hierbei das allseits bekannte Flow-Gefühl auslösen. Flow wird definiert als „das als beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung (Konzentration) und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit („Absorption“), die wie von selbst vor sich geht“ bezeichnet (mehr über das Thema Flow findest Du direkt beim führenden Flow-Forscher Mihály Csíkszentmihályi). Die Erreichung eines Flowzustands ist dabei sehr ähnlich mit den Kernprinzipien eines gelungenen Rehabilitationsprozesses gleichzusetzen. Diese Prinzipien sind:
Klares Ziel
Das Ziel der Rehabilitation und des jeweiligen Levels sollte klar definiert sein. Die Mission gibt uns dabei das Ziel vor. Der Handlungsplan dient uns als Orientierung und der Endgegner als Bestätigung, wie und wann wir unsere Ziele erreichen.
Fortschritt
Wie bereits erwähnt dient messbarer Fortschritt als große Motivationshilfe und bestätigt konstant die Wahl der Rehabilitationsmethodik, überprüft deren Wirksamkeit und hilft dem Trainer wie dem Klienten am Ball zu bleiben. Vor allem viele kleinere Ziele mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit sorgen für den Flow-Effekt.
Sofortiges Feedback
Die ständige Bestätigung auf dem richtigen Weg zu sein ist – zusammen mit dem Fortschritt der Therapie – ein sehr wichtiger Faktor jeder Rehabilitation, der gar nicht oft genug erwähnt werden kann. Wie der Meilenstein sorgt beständiges und sofortiges Feedback für langanhaltende Motivation. Ein weiterer Faktor, der als „sofortiges Feedback“ verstanden werden kann, ist die direkte Schmerzreduktion von Übungen bzw. das sich „sicher und besser fühlen“.
Gleichgewicht zwischen Anforderung und persönlicher Fähigkeit
Um eine Anpassung im Körper auszulösen, müssen wir eine gewisse Reizschwelle überschreiten. Erfolg dies nicht, so steigern wir kaum unsere Leistungsfähigkeit. Doch genau dies möchten wir im Rehabilitationsprozess erreichen! Deshalb sollten wir unser Anforderungsprofil ständig anpassen.
Mit dem Prozess des Flows hängt die sogenannte Selbstbestimmungs-Theorie (Self Determination Theory) zusammen. Diese setzt sich aus der Autonomie, der Kompetenz und der Community zusammen. Diese drei Faktoren sollten während einer Rehabilitation definitiv Beachtung finden. Die Autonomie des Klienten unterstützen wir dabei vorwiegend, in dem wir den Klienten in den Rehabilitationsprozess und die Entscheidungen des Trainers/Therapeuten mit einbeziehen. Hier können die bereits genannten Meilensteine helfen, die Autonomie zu bekräftigen. Die Kompetenz des Klienten wird überwiegend durch die korrekte Reizsetzung gefördert. Hier sollte das oben beschriebene Gleichgewicht zwischen Anforderung und persönlicher Fähigkeit beachtet werden. Der Faktor Community bzw. Gemeinschaft sollte ebenfalls als wichtiger Faktor angesehen werden. Denn meistens fühlen sich die Betroffenen einsam, allein gelassen und von der Gesellschaft und Umgebung nicht verstanden. Dies beobachten wir vor allem im Leistungssport, wo eine Verletzung den temporären Ausschluss aus der Community (Mannschaft und evtl. Fans) bedeuten kann. Ein ausgezeichnetes Buch zu genau diesem Thema haben die Kollegen Congia, Geitner und Gurzi geschrieben [3]. Daniel Pink, Autor des Buchs Drive: Was wirklich motiviert, fügt zu dieser Theorie einen weiteren Baustein hinzu: Den Faktor Sinn bzw. Zweck („Purpose“) [1o]. Es gilt zu beachten: Der Sinn und Zweck der einzelnen Übungen, der gewählten Trainingsformen und auch der gesamten Rehabilitation sollte mit dem Klienten unbedingt auf Augenhöhe besprochen werden. Dies fördert wiederum die Selbstwirksamkeit des Klienten und lässt ihn die einzelnen Prozess der Rehabilitation eher verfolgen. Oder anders gesagt: Wer den Sinn und Zweck von Übungen und Systemen nicht versteht, beendet den Rehaprozess gegebenenfalls früher als jemand, der über die genauen Schritte bestens Bescheid weiß.
Ein Beispiel für Gamification im Sport
Eine ausgezeichnete Form der Gamification für den Sport ist die App „Beyond the whiteboard“, die vor allem im CrossFit immer größere Beliebtheit erlangt. Beyond the whiteboard kombiniert PBLs (Points, Badges und Leaderboards) wie kaum eine zweite Software und motiviert die Trainierenden mit immer neuen Challenges, einem Level-System und zeigt gnadenlos Schwächen in einzelnen Disziplinen auf. So ergibt sich bei Eintragen der Daten ein Fitnesslevel des Trainierenden, welches sich aus den Teilbereichen Gewichtheben, Ausdauer, Schnelligkeit, Körpergewichtsübungen, „schwere“ Workouts (heißt: mit viel Gewicht), „leichte“ Workouts (mit wenig Gewicht) und „lange“ Workouts (länger als 20 Minuten Dauer) zusammensetzt. Ist nur einer dieser Bereiche unterdurchschnittlich ausgebildet, so zieht er das ganze Level deutlich nach unten. Der Trainierende kann somit seine Schwachstellen schnell und einfach erkennen und seine Trainingsschwerpunkte nach Wunsch anpassen. Für mich ist das Gamification in Perfektion.
Nach spätestens 6 Monaten werden bereits durchgeführte Workouts nicht mehr in das Fitnesslevel berechnet, sodass das Fitnesslevel jeweils so aktuell wie möglich gehalten wird. Dies sorgt zusätzlich für einen Motivationsschub, bereits durchgeführte Workouts zu einem späteren Zeitpunkt nochmals durchzuführen.
Dieses Levelsystem könnte in Zukunft auch auf Rehabilitationsprozesse übertragen werden und Faktoren wie Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und auch das Mindset in ein allgemeines Rehabilitationslevel umsetzen. Erreicht der Klient eine gewisse Stufe, so wird die nächste Phase des Rehabilitationsprozesses freigeschaltet. Wie könnte solch ein Reha-Level-System aussehen?
Das RESET Level System: RESET Rehab+
Das vierstufige RESET Level System “RESET Rehab+” ist angelehnt an die Arbeiten von Todd S. Ellenbecker [6] sowie dem Return-to-sport-Modell von Creighton und seine Kollegen [4].
RESET Rehab+ steht für einen Rehabilitationsprozess, bei dem der Klient nicht nur zu alter Leistungsfähigkeit zurückkehrt. Die Grundlage für das RESET Rehab+ Konzept ist die Idee, dass wir mit dem Rehabilitationsprozess über das Ausgangsniveau hinausschießen sollten. Die Rehabilitationsformel: Ausgangsniveau + 1 = Mission erfüllt. Mit Elementen der Gamification sorgen wir für langanhaltende Motivation und stellen einen Wegweiser zur Verfügung, der dauerhaft unseren Fortschritt misst.
Im RESET Rehab+ Konzept unterteilen wir den Rehabilitationsprozess in insgesamt fünf Level:
- Das Schutzlevel
- Das Belastungslevel
- Das Brückenlevel
- Das Fortschrittslevel
- Das Comebacklevel (Return-to-sport)
Jede Phase verfolgt spezifische Ziele (die Mission 📈) und wird mit einem Endgegner 👾 gekennzeichnet. Der Endgegner ist eine Übung bzw. Bewegung, welche zum Bestehen des jeweiligen Levels gemeistert werden muss. Welche Übungsmodalitäten im jeweiligen Level erwünscht sind und was weiter zu beachten ist findet sich im Handlungsplan 📋 wieder. Die Quests 🔱 dienen uns als Wegweiser und bestätigen uns, auf dem richtigen Weg zu sein.
Schlüsseln wir die einzelnen Phasen einmal auf:
Das Schutzlevel
Wir starten die Rehabilitation mit dem Schutzlevel, sofern ein traumatischer Unfall (Sturz oder ähnliches) zur Entstehung der Verletzung geführt hat. Falls es sich eher um eine Einschränkung oder eine Überlastung handelt, so kann dieses Level meist übergangen werden.
Die Mission des Schutzlevels:
Ziel dieses Levels sind Schmerzen lindern, Entzündungswerte kontrollieren, den Bewegungsradius zu normalisieren und die Propriozeption wiederherzustellen. Gleichzeitig möchten wir mögliche Schwellungen reduzieren und das Gewebe schützen. Das Schutzlevel wird in der Literatur meist mit 2-14 Tagen Dauer beziffert [1], kann aber individuell angepasst werden.
Der Handlungsplan sieht folgendes vor:
Während lange Zeit die PECH-Regel galt (Pause, Eis, Kompression und Hochlagern), so sollten wir uns mit einer neuen Methodik auseinandersetzen: der PEACE and LOVE-Regel. Die 2019 von Dubois & Jesculier vorgestellte Methode PEACE and LOVE [5] folgt dem Leitspruch:
Gib der frisch verletzten Struktur erst Frieden, dann Liebe. Die einzelnen Buchstaben von PEACE und LOVE stehen hier allerdings – wie bei der Formel PECH – für mehr.
Die Studie rund um das Thema PEACE & LOVE findest Du hier.
Passives Stretching sollte im Schutzlevel grundsätzlich vermieden werden, da sich nur schwer abschätzen lässt, wie die verletzte Struktur die Dehnreize verarbeitet und sich Narbengewebe bildet. Schmerzfreie submaximale isometrische Belastungen in verschiedenen Positionen sowie kleinste Rotationsbewegungen können hier die ersten Belastungen sein, um den Bewegungsradius zu erhalten bzw. schrittweise wiederherzustellen.
Die zu bewältigenden Quests des Schutzlevels:
- Führe die besagten Übungen jeden Tag aus
- Schwellung geht zurück
- Schmerzreduktion um mind. 2 Punkte auf der Visual Analog Scala („VAS“. Diese beschreibt den Schmerz auf einer Skala von 0-10).
Der Endgegner des Schutzlevels des Systems ist die Bewältigung der 3 Quests innerhalb von 14 Tagen.
Die Belohnung beim Abschließen der Mission „Schutz“ darf vom Klienten selbst gewählt werden.
Das Belastungslevel
Das Belastungslevel setzt erste Kraft und Mobilisationsreize und treibt den Anpassungsprozess der Rehabilitation weiter voran. Dieses Level wird in der Literatur meist mit bis zu 28 Tagen Dauer beziffert, sollte aber individuell angepasst werden.
Die Mission des Belastungslevels:
Ziel dieses Levels sind die weitere Schmerzlinderung, den Bewegungsradius auszubauen und die Propriozeption Muskelbalance wiederherzustellen.
Der Handlungsplan sieht wie folgt aus:
Verstärkter Fokus auf die Verbesserung der Rotationskomponenten der Gelenke. Bei Einschränkung des passiven Bewegungsradius sollte mit passiven Mobilisationsmethoden begonnen werden. Hier bieten sich vor allem Dehnpositionen mit isometrischen Belastungen an (PAILs). Auch Vibration und EMG-Stimuli können die Struktur weiterhin voranbringen, die Propriozeption weiter ausbilden und die Strukturen auch neuronal besser im Gehirn abbilden [8]. Schmerzfreies Gehen bzw. lockeres Joggen und Fahrrad fahren kann ebenfalls Teil dieser Phase sein, um erste Belastungsreize zu setzen (Diese Schritte sind selbstverständlich abhängig von der Art der Verletzung). Zur weiteren Orientierung kann die Stufe 1: Körperliche Einschränkungen aus dem RESET Konzept Körperliche Freiheit herangezogen werden.
Die Quests des Belastungslevels lauten:
- Führe die besagten Übungen jeden Tag aus
- Erreiche mind. 70% passiven Bewegungsradius gegenüber der unverletzten Struktur
- Erreiche mind. 50% der Kraftwerte gegenüber der unverletzten Struktur (oder vergleichbarer Werte)
- Schmerzreduktion auf <5 auf der VAS
Der Endgegner des Belastungslevels:
Der Endgegner des zweiten Levels des Systems ist die Bewältigung der 3 Quests innerhalb von 14-28 Tagen (oder länger).
Die Belohnung beim Abschließen der Mission „Belastung“ darf vom Klienten selbst gewählt werden.
Das Brückenlevel
Mit dem Brückenlevel starten wir, sobald der Endgegner des Belastungslevels besiegt wurde. Diese Phase dauert ca. weitere 14-28 Tage (oder länger).
Die Mission des Brückenlevels:
Ziel dieses Levels sind die dynamische Stabilisation der Strukturen, Verbesserung der neuromuskulären Kontrolle, Kraft und Gleichgewicht wiederzuerlangen und den Bewegungsradius beizubehalten und weiter auszubilden.
Der Handlungsplan des Brückenlevels sieht vor, die Strukturen nun Schritt für Schritt mit fortschreitender Intensität zu belasten und Kraftreize zu setzen, die Anpassungsreaktionen auslösen. Hierzu dienen weiterhin isometrische Übungen, aber auch Kombinationsformen aus exzentrischer und konzentrischer Belastung. So können bei einer Schulterverletzung Übungen für die Rotatorenmanschette in vorerst begrenzten Bewegungsradien erste Reize zur Anpassung setzen und gleichzeitig das Sicherheitsgefühl wiederherstellen. Zusätzlich können Rotationsbewegungen in erweiterten Bewegungsradien die Propriozeption verbessern [9]. Als Leitlinie wird der Schmerz des Klienten genutzt. Hierzu kann weiterhin die bekannte Visual Analog Scala (VAS) genutzt werden. Der Klient sollte hierbei nicht über eine 5 hinausgehen. Vor allem das Schmerzempfinden 24 Stunden nach Belastung sollte herangezogen werden. Weiterhin sollten Übungen zur Steigerung der aktiven Beweglichkeit genutzt werden.
Die zu bewältigenden Quests des Brückenlevels:
- Führe die besagten Übungen jeden Tag aus
- minimaler Schmerz (<5 auf der VAS)
- Beinahe voller passiver Bewegungsradius (90%)
- Halten des größtmöglichen aktiven Bewegungsradius der verletzten Struktur für 6×5 Sek.
- Erreiche mind. 70% der Kraftwerte gegenüber der unverletzten Struktur (oder vergleichbarer Werte)
Der Endgegner des Brückenlevel ist die Bewältigung aller Quests dieses Levels innerhalb weiterer 14-28 Tage (oder länger).
Die Belohnung beim Abschließen der Mission „Brücke“ darf vom Klienten selbst gewählt werden.
Das Fortschrittslevel
Das vorletzte Level des RESET Rehab+ Konzeptes ist das Fortschrittslevel und stellt die Intensivierung der Einheiten in den Vordergrund. Dieses Level kann sich deutlich über 28 Tage Dauer ziehen, aber auch in kürzerer Zeit bewältigt werden.
Die Mission des Fortschrittslevels:
Ziele des Fortschrittslevels sind weitere Kräftigung mit schwereren Übungen bei gleichzeitiger Heranführung an die erwünschte sportliche Aktivität. Hier sollte beinahe volle Belastungssicherheit wiederhergestellt worden sein.
Der Handlungsplan des Fortschrittslevels sieht vor, die Intensität der Belastungen soweit zu steigern, sodass die Übungen immer mehr die Intensität der gewünschten sportlichen Belastung ähnlich sind [7]. Konzentrische und exzentrische Übungsdurchführungen in vollständigen Bewegungsradien sowie die Integration von plyometrischen Übungen finden in dieser Phase statt. Ein besonderer Fokus kann hier nochmals auf exzentrisches Krafttraining gelegt werden, um die Struktur “in Länge” zu Kräftigen bzw. Bremsmechanismen besser abfangen zu können. Zur weiteren Orientierung kann die Stufe 2: Körperliches Potential aus dem RESET Konzept Körperliche Freiheit herangezogen werden.
Die zu bewältigenden Quests des Fortschrittslevels:
- Führe die besagten Übungen jeden Tag aus
- minimaler Schmerz (<3 auf der VAS)
- Voller passiver Bewegungsradius
- Halten des größtmöglichen aktiven Bewegungsradius der verletzten Struktur für 3×10 Sek.
- Erreiche mind. 90% der Kraftwerte gegenüber der unverletzten Struktur (oder vergleichbarer Werte)
Der Endgegner dieses Levels ist die Bewältigung der Quests innerhalb von weiteren 14-28 Tagen (oder länger).
Die Belohnung beim Abschließen der Mission „Fortschritt“ darf vom Klienten selbst gewählt werden.
Das Comebacklevel (Return-to-sport)
Die Mission des Comebacklevels:
Ziel ist die Rückkehr zur sportlichen Belastbarkeit. Spezifische Kriterien sollte dabei sportartspezifisch aufgestellt werden.
Die zu bewältigenden Quests des Comebacklevels:
- komplette Wiedererlangung der Kraftwerte, die vor der Verletzung erreicht wurden. Hat man hier keine Daten zur Hand, so sollte die ursprünglich verletzte Seite zumindest Kraftwerte im Bereich von 90% der unverletzten Extremität erlangen
- Voller passiver wie aktiver Bewegungsradius bei schmerzfreier Ausübung der gewünschten Bewegungen
- Psychische wie physische Sicherheit bei Bewegungen, die zur Verletzung geführt haben
- Sportartspezifischer Abschlusstest wie Testspiel (auch verkürzte Spieldauer) oder simulierte Wettkampfsituation unter kontrollierten Bedingungen
Der Endgegner dieses Levels ist die Bewältigung der genannten Quests.
Die Belohnung beim Abschließen der Mission „Comeback“ darf vom Klienten selbst gewählt werden. Meist reicht die Tatsache, dass die Rehabilitation erfolgreich abgeschlossen wurde als Belohnung.
Zum Abschluss der Rehabilitation erfolgt, ganz im Sinne der Gamification, eine Auszeichnung als Rehabilitationsmeister. Der Klient wird nun in eine „Hall of Fame“ der Rehabilitationsmeister aufgenommen.
Merke Dir: Ein Rehaprozess darf sexy sein. Und die Unterstützung mit Elementen der Gamification kann zusätzlich motivieren.
Ein wichtiger Hinweis zum Schluss:
Ein Rehabilitationsprozess kann sehr komplex sein und der Erfolg hängt von vielen Faktoren ab. Das hier vorgestellte Modell ist kein Patentrezept für alle Arten von Problemen und soll lediglich als Orientierung und Denkanstoß dienen. Verletzungen sind nur schwer miteinander zu vergleichen. So benötigt ein vorderer Kreuzbandriss sicherlich deutlich länger (>8 Monate) als eine Verletzung der Rotatorenmanschette. Die genaue Dauer der einzelnen Level sollte deshalb ebenfalls individuell angepasst werden.
Du möchtest das Konzept näher kennenlernen? Oder hast selbst Ideen, welche das Konzept bereichern können? Willst Du an der Entwicklung einer Software und des Konzeptes der Gamification von Rehabilitation teilnehmen? Schreibe mir gerne eine Mail an info@heizmann-box.de. Ich freue mich über den Austausch!
Wer mehr weiß, kann mehr bewegen.
Benjamin Heizmann
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Ein letzter Hinweis: Im Text spreche ich voranging von Klienten und Trainern, also der männlichen Form. Dies dient rein der Leseerleicherung und ist weder wertend noch anderweitig negativ gemeint. Die Maßnahmen gelten ebenfalls für Trainerinnen, Therapeutinnen sowie Klientinnen.
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Literatur:
[1] Bayer, M.L., Magnusson, S.P., Kjaer, M. & Tendon Research Group Bispebjerg (2017). Early versus Delayed Rehabilitation after Acute Muscle Injury.
The New England Journal Of Medicine. 377(13)
[2] Chou, Y. (2015). Actionable Gamification: Beyond Points, Badges and Leaderboards.
[3] Congia, Geitner & Gurz (2020). Fußballer haben Knie: Analyse, Therapie und Aufbautraining nach Knieverletzungen. – Was hilft bei Knie-Verletzungen? SCHAU ma moi
[4] Creighton et al. (2010). Return-to-Play in Sport: A Decision-based Model. Clin J Sport Med 2010;20:379–385
[5] Dubois & Jesculier (2019). Soft-tissue injuries simply need PEACE and LOVE. Br J Sports Med. 54(2): 72-73
[6] Ellenbecker, T.-S. (2006). Shoulder Rehabilitation. Non-operative treatment. Thieme
[7] Gabbett, T.J. (2019) How Much? How Fast? How Soon? Three Simple Concepts for Progressing Training Loads to Minimize Injury Risk and Enhance Performance.
J Orthop Sports Phys Ther. 15;1-9.
[8] Lienard, L. & Schmid-Fetzer, U. (2020). Neuronale Heilung. Mit einfachen Übungen den Vagus-Nerv aktivieren. München: Riva
[9] Littlewood, C. et al. (2019) Physiotherapists’ recommendations for examination and treatment of rotator cuff related shoulder pain: A consensus exercise.
Physiotherapy Practice and Research 40.2: 87-94.
[10] Pink, D. (2020). Drive: Was wirklich motiviert.